An anderer Stelle hatte ich erwähnt, dass eine Predigt eine Transfer- oder Übersetzungsleistung darstellt. Die Predigt in der christlichen Kirche (andere Religionen kommen ohne sie aus) ist eine Entwicklung der Reformation. Martin Luther und andere waren der Meinung, dass der Glaube vom Hören komme. Denn im ausgehenden Mittelalter konnten viele Menschen gar nicht lesen, geschweige denn Latein, und daher das Wort Gottes und die Frohe Botschaft nicht in Eigenregie erfassen. Darum wurden die Texte vorgelesen – so wie heute noch in fast jedem Gottesdienst. Da sich der Sinn mancher Bibelstelle nicht ganz einfach erschließt, muss er hergeleitet werden: Was hat uns diese Bibelstelle heute noch zu sagen? Was meinten diejenigen, die diese Texte damals aufgeschrieben haben? Übrigens erst viele Jahrzehnte nach dem eigentlichen Geschehen, weshalb es umso wichtiger ist, dass man sie historisch einordnet und ihre mögliche Bedeutung erklärt.
Bei all dem geht es also nicht um reine Bibelkunde oder den reinen Bibeltext, sondern immer darum, was Menschen heute davon mitnehmen können.
Darum sprechen wir an der Stelle, an der die Liturgie eine Predigt (in manchen Gottesdienstformen auch Laien-Predigten) vorsieht, oft von Auslegung oder Katechese, was so viel heißt wie Glaubensvermittlung oder Glaubensunterricht. Im Griechischen nennen wir die Predigt auch Homilie, was das Persönliche und Seelsorgerische der Auslegung in den Vordergrund stellt.
Bei all dem geht es also nicht um reine Bibelkunde oder den reinen Bibeltext, sondern immer darum, was Menschen heute davon mitnehmen können. Als möglicherweise ganz wichtigen Impulsgeber für ihr Leben. Was eine Predigt nicht darf: einfach den Text wiederholen, weil dem Priester oder Pfarrer nichts eingefallen ist. Genauso wenig hilft, aus einem Fachbuch über das Evangelium vorzulesen. Wird gerne mal gemacht, ist aber oft nicht zielführend. Wichtig ist vielmehr die Übersetzung ins Hier und Heute. Das macht eine gute Predigt aus.