Recht und Glauben – Predigt zu Jes 1,16-18

Hat er oder hat er nicht?
Gelacht.
Jesus.
Diese Frage stand ganz am Anfang der Fastenzeit und der Laudes-Reihe hier im Seelsorgebereich. Und die Antwort auf diese Frage kann nur lauten „ich glaube ja“ oder „ich glaube nein“.

Hat Jesus gelacht? Es ist eine Glaubensfrage.
Keiner von uns kann die Antwort wissen. Keiner war dabei. Auch wenn Wissenschaftler über diese Frage nach dem lachenden Jesus nachdenken – sie können nur argumentieren und Belege für ihre Argumente suchen. Aber wissen…? Wissen können sie es nicht.

Alles, was wir aus der Bibel lesen, was wir aus historischen Fakten und Rahmenbedingungen herleiten – es sind und bleiben immer Vermutungen. Wir haben aus der Zeit von vor 2.000 Jahren keine Fotos, kein YouTube-Video – und selbst wenn, könnten wir nicht einmal mehr sicher sein, ob die scheinbar eindeutigen Bilder nicht KI-generiert sind – wir haben aus der Zeit auch kein Instagram und kein Spotify. Keine Zeitzeugen.

Alles, was über Jesus aufgeschrieben wurde, wurde erst nach seinem Tod aufgeschrieben. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu glauben.

Aber glauben wir das richtige? Gibt es das eigentlich? Den rechten, den richtigen Glauben?
Fragen wir in diesem großen Konstrukt, das wir Kirche nennen, so werden manche Menschen sagen: Ja. Es gibt den rechten, den richtigen Glauben. Und das sind nicht nur Kardinäle in Rom, das sind auch Menschen in unseren Gemeinden.

Auch im Buch Jesaja, aus dem wir eben gehört haben, spricht Gott: „Kommt her; Wir wollen sehen, wer von uns Recht hat.“

„Recht haben“ und „glauben“ – das sind zwei Seiten, die kaum miteinander vereinbar scheinen.

Und doch gibt es das Recht in der Kirche. Es gibt die Dogmen, die festgeschriebenen Glaubens-Wahrheiten, die für alle gelten. Und es gibt Religionen, die Gesetzesreligionen sind. Nur, wenn Du das und das tust und akzeptierst, wenn Du nach diesem Recht handelst, nur dann glaubst Du.

Ich war vorgestern auf der Buchmesse in Leipzig, und da ist mir dieses Buch von Maouhanad Khorchide in die Hände gefallen: „Ein Muslim auf dem Jakobsweg“. – Einigen sagt sein Name vielleicht etwas, Khorchide ist Professor für Islamische Theologie an der Universität Münster.

Am Anfang des Buches diskutiert der Autor mit seinen muslimischen Eltern über sein bevorstehendes Pilgern auf dem Jakobsweg. Die Mutter ist skeptisch, fast entsetzt von dem Plan des christlichen Pilgerns.
„Du kommst aber schon als Muslim zurück“, sagt sie. „Versprich mir das.“
Und „Du weißt, Jesus ist ein Prophet und kein Gott.“
„Ja, Mama, Jesus ist nicht Gott.“
„Außerdem wurde er nicht gekreuzigt.“
„Okay, von mir aus, dann wurde er eben nicht gekreuzigt.“
„Mouhanad, ich meine das ernst. Der Mann wurde wirklich nicht gekreuzigt.“
„Ich nuschelte leise: Du warst nicht dabei Mama, keiner von uns war dabei, woher willst Du wissen, was wirklich Sache ist.“

Wer von uns weiß schon, was Sache ist?
Wer von uns hat Recht? Recht in Glaubensfragen?

Glauben ist immer subjektiv: Ich glaube, ich denke, ich meine – alles subjektive Ausdrücke, die unmittelbar an mich selber gebunden sind.

Wie soll das zusammengehen mit der Aufforderung bei Jesaja: „Wir wollen sehen, wer von uns Recht hat.“

Recht haben, das geht nur, wenn ich etwas belegen kann, beweisen kann. Glaube ist das, wenn ich etwas nicht belegen oder beweisen kann. Das ist doch das, was im Kern unseren Glauben ausmacht. Glauben und Recht haben lassen sich also nicht vereinen. Was tun?

Wie so oft, ist es wichtig, die Texte der Bibel nicht wortwörtlich zu nehmen. Sondern hinzuschauen, was hier wohl gemeint ist bzw. was im Original überhaupt geschrieben steht.

Wenn wir diese kurze Passage nehmen –
„Wir wollen sehen, wer von uns Recht hat“ –
genügt es schon, sich nur mehrere Bibel-Übersetzungen anzusehen.

In einer englischen Ausgabe heißt es zum Beispiel:
“Come now, and let us debate your case”, says the Lord.

Oder – in einer anderen:
“Come now, and let us reason together”, says the Lord.

Und in einer deutschen Ausgabe heißt es:
„So kommt denn und lasst uns miteinander rechten, spricht der Herr.“

Da steht also gar nicht „Recht haben“, da steht „rechten“. Ein Verb. Eine Handlung.
Im Hebräischen steht an der Stelle das Verb „yākaḥ“, was mit debattieren übersetzt wird – lasst uns die Sache vor Gericht bringen. Es kann auch heißen: entscheiden, richten, beweisen oder korrigieren.

Es geht also gar nicht ums Recht haben. Sondern darum herauszufinden, was recht ist, und was wir dafür tun können. Wo wir uns – wo jeder, jede sich selbst – ändern und korrigieren kann. Damit „Sünden rot wie Scharlach“ weiß werden wie Schnee.

Über den rechten Glauben debattieren, Orientierung geben – das war auch vor 1700 Jahren der Grund für das Konzil von Nizea. Verschiedene Theorien – die Subordinations-Theorie zum Beispiel = Christus untergeordnet unter der Einzigartigkeit Gottes – das wurde von Theologen diskutiert. Darum dieses Konzil, an dessen Ende das steht, das wir in weiten Teilen heute noch im Glaubensbekenntnis beten: Gott ist Mensch geworden, Jesus Christus ist Sohn „aus dem Wesen des Vaters […] gezeugt, nicht geschaffen“ und „wesensgleich dem Vater“.

Was die Theologen in Nizea gemacht haben, das war Diskutieren und Abwägen und der Versuch, das Richtige zu definieren. Der Versuch, den Glauben nicht einfach nur zu behaupten, sondern ihn mit Gründen plausibel zu vertreten. Damit die Menschen in dieser neuen Weltreligion –
bis wenige Jahrzehnte vor dem Konzil von Nizea wurden Christen noch verfolgt –
damit die Menschen verstehen, was sie da glauben.

Wir wissen, dass das Konzil längst nicht alle Fragen des Glaubens beantwortet hat, denn viele weitere Konzile folgten. Nicht immer ging es dabei ganz friedlich zu. Und ähnlich, wie wir es in dem jüngst mit einem Oscar ausgezeichneten Film „Konklave“ gesehen haben, wird für Überzeugungen im Glauben durchaus auch mit harten Bandagen gekämpft. Hart – aber im Dialog.

Und zu diesem Dialog ruft Gott uns auf.
„Kommt und lasst uns miteinander rechten, spricht der Herr.“
Kommt, wir wollen streiten.

Glauben heißt nicht wissen, Glauben heißt überzeugt sein und in dieser Überzeugung zu handeln.
Glauben heißt auch Gottes Geist und Gottes Wirken in unserer Welt existent zu machen.
Die Menschen zu würdigen so wie sie sind.
In ihrem Glauben. In Respekt und Anerkennung.

Ob Jesus gelacht hat? – Ich glaube schon.
Ob ich damit Recht habe? – Das ist nicht wichtig.

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